Das Festspielhaus St. Pölten feiert 2022 seinen 25. Geburtstag. Was wünschen Sie als langjähriger Begleiter dem Haus und seinem Team für das Jubiläum sowie das kommende Vierteljahrhundert?
"Nach vielen schönen Konzerten und der Zusammenarbeit mit den handelnden Personen im Festspielhaus muss ich sagen: Ich bin ein Fan dieses Hauses geworden und ich bin sehr froh darüber, dass wir über die Jahre eine musikalische Partnerschaft aufbauen konnten. Denn für Musikschaffende ist es enorm wichtig, gute und stabile Beziehungen zu pflegen. Eine Partnerschaft in diesem Sinne ist immer auch ein dialogisches Verhältnis: Wenn wir wieder eingeladen werden, können wir als Künstler davon ausgehen, dass Qualität, Kommunikation und Schaffenskraft auch von Seiten des Hauses geschätzt werden. Ich freue mich sehr, dass uns das geglückt ist. Außerdem schätze ich das Team, die Akustik im Saal und die Möglichkeiten, die man im Festspielhaus vorfindet, sehr.
Für die Zukunft wünsche ich dem Festspielhaus, dass es weiterhin und immer mehr als bedeutende Spielstätte in Österreich Platz greift. Denn das Haus hat es sich verdient, in Österreich und über die Grenzen hinaus stark wahrgenommen zu werden. Zudem wünsche ich mir, dass die im Haus vertretenen Kunstsparten – die Musik und der Tanz – hier weiterhin ihren Platz finden werden."
© Nini Tschavoll
Johann Sebastian Bachs h-moll-Messe gilt als komplexes, vielschichtiges Werk sowie als eine der zentralen geistlichen Kompositionen. Worin besteht Ihrer Meinung nach die Besonderheit dieser Missa solemnis? Was interessiert Sie persönlich daran?
"Für viele Musikerinnen und Musiker gehört Johann Sebastian Bach zu den zentralen Leitfiguren für das eigene Schaffen. Ich gehöre zu diesen Musikern. Wenn man sich mit Bach beschäftigt, setzt man sich irgendwann auch mit jener Komposition auseinander, an der er zeit seines Lebens gearbeitet hat. Im Umkehrschluss ist das auch insofern interessant, weil wir durch die h-Moll-Messe einen Einblick in die einzelnen Entwicklungsstadien seiner Kompositionstätigkeit erhalten, die sich in diesem Werk zu einem großen Ganzen verbinden.
Ebenso interessant wie außergewöhnlich ist der Umstand, dass der Protestant Bach eine katholische Messe vertont. Zuerst existierten nur die Kyrie und Gloria seiner „Missa“ – die Vertonung dieser Messteile war damals in der protestantischen Liturgie Usus. Dann begann Bach die restlichen Messteile der katholischen Liturgie zu vertonen. Unausgesprochenerweise schafft er damit ein Kunstwerk, das ökumenischen Anspruch hat: Er fügt mit seiner h-Moll-Messe den Protestantismus und den Katholizismus in der Sprache der Musik zusammen. Der oft zitierte Friedensgedanke durch die Musik könnte keinen schöneren Ausdruck finden als in dieser Komposition von Johann Sebastian Bach. Wenn man bedenkt, wie viel Leid diese Religionsspaltung in Europa mit sich gebracht hat, dann ist dieses Werk auch als ökumenische Friedensarbeit zu verstehen.
Ein dritter Aspekt ist der Versuch der tiefgehenden Ergründung. Ich habe die h-Moll-Messe mit meinen Ensembles bereits zwei Mal erarbeitet und finde, dass man solche Meisterwerke öfter in seinem Leben aufführen muss, damit sie sich immer tiefgehender erschließen. Wir sind nie die Gleichen: Morgen sind wir schon wieder Andere. Durch die eigene Weiterentwicklung und das Menschsein an sich ändert sich der Blickwinkel auf die interpretatorischen Überlegungen."
Denken Sie, dass unsere aktuelle Erfahrung mit Corona Einfluss auf das Werk nimmt?
"Nicht wesentlich. Sollte Corona noch zwei Jahre andauern, was wir uns natürlich nicht wünschen, so hat die Pandemie vielleicht drei Jahre gedauert. Was sind drei Jahre im Vergleich zu den ca. zweieinhalb Jahrhunderten, in denen die h-Moll-Messe existiert?
Aber es gibt schon einen Aspekt: Zufälligerweise ist es so, dass mein Chor Ad Libitum im April mit den Proben für die h-Moll-Messe zugleich seine Probentätigkeit generell wieder aufnimmt. Diese Proben enthalten zwei Kompositionsabschnitte, deren Bedeutung durch Corona zum wichtigen Leitmotiv der Zeit werden. Und zwar: Et resurrexit! (Und ist auferstanden!) ... Und hoffentlich Dona nobis pacem! (Gib uns Frieden!) Das sind Inhalte, die wir Menschen jetzt ganz besonders brauchen: Wir müssen wiederauferstehen und den Frieden bewahren."
Das Interview führte Stephanie Serles am 28.01.2021 mit Heinz Ferlesch