Interview mit Robert Wilson

Theaterrevolutionär Robert Wilson im Interview mit Frédéric Maurin (Théâtre de la Ville-Paris) über irreführende Schubladen, ganzheitliches Hören und das Licht am Ende des Tunnels.

 

Wie entstand die Idee einer Produktion, die auf dem "Dschungelbuch" basiert?
Die Idee kam von Emmanuel Demarcy-Mota und Pierre Bergé. Ich habe es immer genossen, mit Pierre über Ideen für meine nächsten Produktionen zu diskutieren. Ich habe ihm und auch Michel Guy immer gerne zugehört, was sie zu sagen hatten. Eines Tages im Jahr 2013, als "Peter Pan" im Théâtre de la Ville lief, fragte ich sie, was ich als nächstes in Angriff nehmen könnte und Emmanuel Demarcy-Mota schlug "Das Dschungelbuch" vor. Ich behielt den Gedanken und fand allmählich meinen eigenen Weg, mich Kiplings Novellen zu nähern.

Was war Ihre ursprüngliche Idee für diesen Vorschlag?
Zweifellos eine Show, die alle ZuschauerInnen ansprechen würde; obwohl für mich jede große Arbeit für sich selbst spricht. Sie kann von einem Kind genauso geschätzt werden wie von einer älteren Person, von einer weniger gebildeten Person ebenso wie von einem Akademiker. Ich halte es mit Gertrude Stein – als sie gefragt wurde, was sie von moderner Kunst halte, sagte sie: "Ich schaue es mir gerne an."

Foto: Lucie Jansch (in der Mitte: Robert Wilson)

"Das Dschungelbuch" spricht ein breites Publikum an und greift somit auf einige Ihrer vorherigen Shows zurück, wie z. B. "Peter Pan", La Fontaines Fabeln, oder "Wings on Rock", inspiriert von Saint-Exupérys "Kleinem Prinzen" und dem Mythos der amerikanischen Ureinwohner von einem Kind, das nach seinem Vater sucht. Genau wie Mowgli am Ende des Dschungelbuchs, der davon träumt, seine Mutter zu finden, nachdem er aus dem Dschungel verbannt wurde?
Ein Künstler mag sich, den Wurzeln eines Baumes gleich, durchaus in seinen eigenen Themen und Variationen verzweigen, aber seine Arbeiten haben doch alle den selben Stamm. Ich habe Stücke kreiert, die sehr unterschiedlich sind, aber wir sollten keine Angst davor haben, uns zu wiederholen, denn nur so lernen wir. In diesem Sinn ist es wahr, dass "Das Dschungelbuch" eine Art Suche ist, wie "Wings on Rock" und "Peter Pan". Es ist ein wiederkehrendes Thema in meinem Schaffen.

Waren CocoRosie die logische Wahl für die Musik oder hätten Sie sich auch andere MusikerInnen vorstellen können?
Ich hörte gewissermaßen von Beginn an ihre Stimmen zu diesem Stück. Die beiden Schwestern haben die Musik für "Peter Pan" geschrieben. Sie sind nicht nur Musikerinnen, sondern auch Künstlerinnen. Sie schienen aus mehrfacher Sicht besser zu dieser Arbeit zu passen als beispielsweise David Byrne, Philip Glass oder Tom Waits.

Haben Sie sich "Das Dschungelbuch" aufgrund der Schlüsselrolle der Musik und der Art und Weise, wie zwischen Erzählung, Dialog und Musik gewechselt wird als Musical vorgestellt?
Schubladen können irreführend sein. Meiner Meinung nach ist alles Theater Musik und alles Theater Tanz. Das sagt uns schon das Wort "Oper". Sie umfasst alle Künste; bringt alles zusammen: Architektur, Malerei, Musik, Poesie, Tanz, Beleuchtung ... Ich finde es schwierig, die einzelnen Komponenten von einander zu trennen. Theaterstücke werden oft fragmentiert, weil sie aufgeteilt werden und die Szenerie, das Schauspiel, der Gesang und der Tanz wie unterschiedliche Konzepte behandelt werden. Für mich sind sie alle Teile eines Ganzen.

Jungle Book/Das Dschungelbuch © Lucie Jansch

Ihre Stücke beherbergen ganze Menagerien – es kommen Schildkröten, Löwen, Vögel, Bären und Dinosaurier vor. Und natürlich gibt es im "Dschungelbuch" viele Tiere. Was interessiert Sie an Tieren?
Meine Arbeit ist enger mit dem Verhalten von Tieren verbunden als mit irgendeiner Schauspielschule. Wenn ein Bär dich ansieht, sieht er mit seinen Augen und seinem ganzen Körper zu. Wenn sich ein Hund einem Vogel nähert, hört er nicht nur mit den Ohren, sondern mit dem ganzen Körper zu. Das war der Ausgangspunkt für "Deafman Glance". Ich habe diese Arbeit mit einem jungen Mann namens Raymond Andrews geschaffen, der taub und stumm ist. Er ist bei mir eingezogen. Eines Abends stand er am Ende meiner Wohnung, 25 Meter entfernt, und ich rief seinen Namen – ohne eine Reaktion zu bekommen. Dann rief ich erneut, imitierte dieses Mal jedoch Laute eines Gehörlosen und er drehte sich lachend um. Sein Körper erkannte die Schallschwingungen eines Gehörlosen besser; er konnte sie fühlen. Es war nicht sein Trommelfell, das ihn Dinge hören ließ, weil er nichts unter 120 Dezibel hören konnte; es war sein Körper. Kleist theoretisierte, dass ein guter Schauspieler wie ein Bär ist: "Er schlägt nie zuerst zu, sondern wartet, bis Sie sich bewegen."

Gibt es am Ende des "Dschungelbuchs" ein Gefühl der Hoffnung? Mowgli wurde von den Wölfen abgelehnt und sowohl aus dem Dschungel als auch aus dem menschlichen Dorf vertrieben. Sehen Sie Licht am Ende des Tunnels oder bleibt der Schluss offen?
Ich weiß nur, dass Theater nicht deprimierend sein darf. Es muss immer einen Hauch von Humor geben, auch wenn König Lear stirbt. Wenn Sie ein Stück weißes Papier nehmen und es neben ein Stück schwarzes Papier legen, sieht das Weiß noch weißer aus. Damit ein Ding existiert, muss es sein Gegenteil haben. Himmel und Hölle bilden gemeinsam eine Welt, ebenso wie Menschen und Tiere.

 

Zu den Vorstellungen
Robert Wilson . CocoRosie: Jungle Book/Das Dschungelbuch

sa 26/09 19.30 Uhr

so 27/09 16.00 Uhr

Mein Besuch

0 Einträge Eintrag

Voraussichtliche Besuchszeit

Liste senden