Es ist strahlender Sonnenschein und es herrschen sommerliche Temperaturen. Ich begleite das zweite Intensivtraining der Laien im Festspielhaus St. Pölten mit Shahar Binyamini. Auf der Probenbühne finde ich die TeilnehmerInnen der Laienproduktion des israelischen Choreographen. Heute sind es elf Frauen und Männer unterschiedlichsten Alters – der Jüngste, der 16jährige Lino, die Älteste, die 69-jährige Friederike Meier. Sie liegen am Boden, sie kreisen die Schultern, sie wärmen sich auf – eine Szene die ich vor allem aus den Gaga Klassen in Tel Aviv kenne. Nicht nur das Wetter katapultiert mich also heute zurück in meine zahlreichen Israelaufenthalte!
Gaga ist eine vom israelischen Choreografen Ohad Naharin ursprünglich zum Training seiner TänzerInnen, der Batsheva Dance Company, entwickelte und inzwischen weltweit bekannte „Bewegungsprache“, Trainingsmethode und Körpertechnik. Gaga bedeutet mindestens eine Stunde ununterbrochene Bewegung angeleitet durch Gaga-LehrerInnen, die sich selbst im ständigen Bewegungsfluss befinden, und die Bewegungsanweisungen aus der individuellen Situation und Beobachtung herausfinden. Gaga spielt mit unterschiedlichsten Bewegungsqualitäten, die Bewegungen wirken teilweise „alienhaft“ und „animalistisch“. Gaga’s Maxime ist die des Hörens auf den eigenen Körper – von diesem Zustand aus kann der Körper selbst Bewegung initiieren, die Erweiterung des eigenen Bewegungsrepertoires und das Empfinden von Freude vor allem in Momenten der körperlichen Anstrengung. Professionelle TänzerInnen und nicht-professionelle TänzerInnen weltweit praktizieren Gaga inzwischen – teilweise täglich. Auch im Festspielhaus haben sie jetzt die Möglichkeit. Für (ehemalige) Batsheva TänzerInnen wie Shahar ist Gaga zur Bewegungs-Muttersprache geworden, die, wenn auch bisweilen unbewusst, scheinbar alle Bewegungen und eigene Produktionen begleitet.
Die Probe
Shahar beginnt den Tag dann auch mit einer Gaga-Stunde. Für ihn ist Gaga Warm-Up und die Begegnung mit dem eigenen Körper in der Vorbereitung auf die choreografische und kreative Arbeit im Anschluss. Die Gaga Stunde ist sanft, Shahar hat eine freundliche und ruhige Art, die sich in seinen Bewegungsanweisungen spiegelt. Wir liegen zum Beispiel am Boden und schütteln unterschiedliche Körperbereiche in einem möglichst unregelmäßigen und unvorhersehbaren Muster. „Wiederhole eine Bewegung immer wieder und bewahre dabei trotzdem ihren immer wieder ursprünglichen und neuen Charakter, als machtest du sie zum ersten Mal.“ – Die Bewegungsanweisung zieht sich als Motto durch den gesamten Probentag. Mit einer letzten Bewegungsanweisung überlässt Shahar schließlich die TänzeInnen sich selbst und der eigenen Bewegungsimprovisation, der eigenen Bewegungsneugier. Er setzt sich auf den Boden und beobachtet.
Schon während der Gaga Stunde wird mir klar, dass die anwesenden TänzerInnen keinesfalls Bewegungslaien sind. Obwohl für viele erst die dritte Gaga-Stunde, scheinen sie in der Bewegungstechnik vollkommen zu Hause zu sein – das braucht sowohl Körpererfahrung, als auch großes Körperbewusstsein. Im Verlauf des Tages beobachte ich die TänzerInnen bei einer Improvisationsaufgabe: Sieben Minuten Improvisation mit geschlossenen Augen. Es ist eine Partneraufgabe: Einer beobachtet, einer tanzt. Ich bin überwältigt von dem, was ich sehe: Die TänzerInnen arbeiten vielseitig – schnell und langsam, mit Kraft und sanft, sie nutzen die unterschiedlichen Raumebenen – Oben, Mitte, den Boden. Es sind selbstbewusste TänzerInnen mit selbstbewussten Bewegungen. Als ich Shahar darauf anspreche, sieht er begeistert aus: Nein, bei der Improvisation zuzuschauen werde nie langweilig. Dieses Erlebnis ist es, dem er im Festspielhaus eine Bühne geben will. Das ist es, was er in dem offenen gestalteten Produktionsprozess in den Laien-TänzerInnen findet.
Die Installation
Eine Präsentation der TänzerInnen in der Improvisation und Improvisationsbeobachtung selbst kreierten Bewegungsabfolgen bringt den Tag zum Abschluss: Shahar lässt all die eigenen Bewegungen gemeinsam im Raum tanzen und spielt mit unterschiedlichen choreografischen Elementen, Raumwahrnehmung und Raumrichtungen. Er hat es geschafft. Die TänzerInnen werden zu einer Gruppe, es entstehen Beziehungen untereinander, es entstehen Beziehungen zum Raum, die Spannung wird gehalten, die unterschiedlichen Qualitäten genutzt. Ich bekomme eine Abschlusspräsentation zu meiner Exkursion ins israelische St. Pölten, sowie Lust auf mehr.
Was uns am 18.05. dann konkret von Seiten der „Laien“ erwartet? Eine Art Installation – elegant gekleidete TänzerInnen in einer Auseinandersetzung mit MittänzerInnen und spannendem Material (zu viel soll nicht verraten werden). Vor allem aber faszinierende Bewegungen der TänzerInnen selbst, die Shahars und Gagas Einfluss genauso spiegelt wie das Bewegungsrepertoire der Tanzenden – gesammelt in unterschiedlichsten Körper- und Bewegungspraktiken. In ihren tanzenden Körpern fließt eben alles zusammen. Die Ideen und Bewegungen der zeitgenössischen Tanzszene Israels sind von jenen der österreichischen Tanz- und Bewegungsszene gar nicht weit entfernt.
sa 18/05 Ohad Naharin . Shahar Binyamini
Text und Foto: Lina Aschenbrenner