Sie ist das Beste, was mir passieren konnte

Sie verblüffen weltweit durch ihre scheinbar telepathische Übereinstimmung und die perfekte Synchronizität ihres Zusammenspiels. Charakterlich könnten die beiden Schwestern aber kaum unterschiedlicher sein. Katia und Marielle Labèque im Gespräch mit Teresa Pieschacón Raphael über ihre Beziehung, ihre Kindheit und ihre musikalische Entwicklung.

© Umberto Nicoletti

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Schwestern sind sich im Drama oder im Film oft spinnefeind, Wie ist das bei Ihnen?
Katia: Schon von klein auf waren wir immer zusammen, das war uns sehr wichtig. Zusammen gingen wir auch als junge Mädchen nach Paris zur Aus­bildung. Meine Schwester bedeutet mir sehr viel. Sie ist das Beste, was mir pas­sieren konnte. Wenn sie nicht bei mir ist, fehlt mir ein Teil.
Marielle: Mir geht es genauso, Katia ist ein Teil von mir. Dabei sind wir sehr unterschiedlich; aber in unseren Un­terschieden doch komplementär. Du liebst den Jazz …
Katia: … Ja, und die Rockmusik. Ich improvisiere gerne, habe eine Band, die Katia Labèque Band, und habe mit Chick Corea, Herbie Hancock und mit anderen Alben produziert. Marielle wiederum liebt die Barockmusik und die Klassik. Wenn sie alleine spielt, ist das eher Brahms als Beatles …
Marielle: (lacht)
Katia: Mein Musikgeschmack folgt immer auch meinen Lebensphasen. 14 Jahre lang habe ich mit dem Jazzmusiker John McLaughlin gelebt. Und heute mit einem Rock­musiker.

Marielle, Sie wiederum sind seit über 25 Jahren mit dem Dirigenten Semyon Bychkov verheiratet. Dass Ihre Le­bens­partner aus so verschiedenen musika­lischen Genres kommen: hat das Ih­re Entwicklung be­einflusst?
Marielle: Man wird sicher beeinflusst, aber eigentlich nicht verändert.
Katia: Wir haben es auch stets ge­schafft, uns in unseren Partnerschaften durchzusetzen. Heute ist die Jazz­musik übrigens sehr förmlich geworden, fast wie die klassische Musik; fast ein bisschen museal und nicht mehr so wild und kreativ wie einst.

In den 1980er-Jahren hat Miles Da­vis Ihnen auf seinem Album „You’re Under Arrest“ zwei Lieder gewidmet: „Katia Prelude“ und „Katia“.
Katia (lacht): Ja. Das waren Zeiten!

Auch mit Madonna sind Sie befreundet?
Katia: Und Marielle auch! Sie hat uns schon sehr unterstützt.

Von Bayonne in die ganze Welt?
Katia: Wir wuchsen tatsächlich in die­sem ganz kleinen Ort Bayonne auf, an der Grenze zu Spanien, deshalb kann ich auch Spanisch sprechen. Un­sere Mutter, die Pianistin Ada Cecchi, war Italienerin, sprach mit uns aber eher Französisch. Sie hat uns sehr geprägt.
Marielle: Sie war so inspirierend, eine besondere, sehr starke Frau, die leider nicht wirklich als Solistin reüssieren konnte. Sie hat sich sehr viel Zeit genommen für uns und hat viele Kinder unterrichtet. Sie starb 1997. Sie fehlt mir sehr.
Katia: Sie war eine Schülerin von Marguerite Long, die wiederum die Lieblingsinterpretin von Maurice Ra­vel und Claude Debussy und mit Gab­riel Fauré befreundet war. Wir wuchsen in diesem Umfeld auf, in der Welt fran­zösischer Musik. Erinnerst du dich noch daran, wie uns unsere Mutter Ravels Geburtshaus gezeigt hat, und danach haben wir Süßigkeiten be­kom­men?
Marielle: Ja (lacht). Unser Vater, der Kinderarzt war und sich auch um vernachlässigte Kinder kümmerte und sie behandelte, liebte die Oper. Es gab ja sonst nicht viel Kultur in dem Städtchen, in dem Dorf, in dem wir auf­wuchsen.
Katia: Ich werde diese Kindheit nicht vergessen, man braucht sie als Teil von einem selbst, auch wenn man er­wachsen geworden ist.

 

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Sie wurden beide im März geboren, fast am gleichen Tag, allerdings nicht im gleichen Jahr.
Marielle: Wir sind zwei Jahre auseinander. Gemeinsam feiern wir aber nicht; nicht jede mag ihren Geburtstag immer feiern. Aber trotzdem be­kommt jede ihr Geschenk!

Gab es für Sie je eine Alternative zur Musik?
Katia: Klavierspielen ist das einzige, was ich kann, es ist für mich wie At­men. Ich glaube, ich habe schon ge­spielt, bevor ich anfing zu sprechen.

Und Sie, Marielle?
Marielle: Zur Musik nicht, aber zum Klavier. Ich hätte gerne Cello gespielt, aber es war unmöglich, das durchzusetzen. Unsere Mutter liebte das Klavier so sehr; alles, aber auch alles hatte mit diesem Instrument zu tun. Kat­ia wusste schon eher, was sie wollte. Ich habe das erst später entdeckt.

Wie haben Sie als Duo zusammenge­fun­den?
Marielle: Das hat seine Zeit ge­braucht; wir mussten zuerst gute Pianistinnen werden, jede erst einmal für sich, be­vor wir zu­sammen auf die Bühne ge­hen konnten.
Katia: Ja, das stimmt.

Sie gingen gemeinsam nach Paris an das Conservatoire. Da waren Sie noch Kinder.
Marielle: Katia war 15 und ich 13 Jah­re alt. Das war nicht einfach, wir hatten großes Heimweh. Aber es war der einzige Weg, um als Musikerinnen wei­terzukommen. Wir wollten miteinander spielen, auch weil ich merkte, dass eine musikalische Laufbahn al­leine nichts für mich war. Wir wuss­ten aber nichts über das Repertoire für vier Hände. Michel Béroff machte uns auf ein wunderbares Stück von Messiaen für zwei Klaviere, „Visions de l’Amen“, aufmerksam und meinte, wir sollten es versuchen. Wir übten es, und eines Tages klopfte es an die Tür: Da stand Olivier Messiaen! Sein Übungsraum für den Kompositionsunterricht war neben unserem.
Katia: Das öffnete uns viele Türen, wir nahmen das Stück auf und wurden Teil einer Elite, der Avantgarde. Wir arbeiteten mit Luciano Berio, Pierre Boulez und György Ligeti. Doch wir wollten nicht nur in dieser zeitgenössischen Ecke bleiben.
Marielle: Eigentlich haben wir „karrieretechnisch“ alles anders gemacht, als man es üblicherweise tut. Wir ha­ben zuerst Neue Musik gespielt und uns erst später der klassischen Musik zugewandt.

Sie wurden über Nacht berühmt.
Katia: Ja, 1981. Jemand hatte uns vorgeschlagen, eine vierhändige Version von Gershwins „Rhapsody in Blue“ zu machen. Die Aufnahme wurde unglaublich erfolgreich, schoss an die Spitze der Charts und wurde mit einer Goldenen Schallplatte ausgezeichnet.

“I see fireworks when those girls play”, sagte Gershwins Bruder Ira damals.
Katia: Die ganze Gershwin-Familie hat uns in Amerika unterstützt, ob­wohl wir Französinnen sind. Plötzlich arbeiteten wir für große Labels, traten mit den besten Dirigenten und Or­chestern auf, reisten durch die Welt.

Bei einem Konzert 2005 mit den Berliner Philharmonikern unter Sir Simon Rattle auf der Berliner Waldbühne waren sogar 33 000 Menschen im Publikum. Wuchsen Sie auch mu­sikalisch zusammen?
Marielle: Man muss eine gewisse Freiheit erringen, das war nicht einfach. Anfangs war unser Zusammenspiel me­chanisch und steif. Stän­dig dach­ten wir daran, ganz präzise zu­s­am­men­zu­spielen, wie bei einem Met­ro­nom. Das klang natürlich nicht gut.
Katia: Man braucht Zeit. Mittlerweile sind wir seit über 40 Jahren ein Duo. Oft brauchen wir keine Worte mehr, um uns zu verständigen.

Nie Streit?
Marielle: Doch, aber es ging nie so weit, dass die Beziehung gefährdet ge­wesen wäre.
Katia: Wir haben gelernt, uns einander nicht für selbstverständlich zu nehmen.

Inwiefern haben Sie sich beide musikalisch und menschlich beeinflusst?
Katia: Marielle hat mich sehr beeinflusst, sie hat etwas Solides und Stabiles in ihrem Spiel, besonders in den Tiefen. Sie hat mir geholfen, mich selber besser als Musikerin zu finden, meine Vorstellungen in eine Bahn zu lenken. Sie hat mich immer gestützt. Je solider der Hintergrund, desto besser kann man sich entfalten. Das ist sehr wichtig. Wenn ich Marielle ge­genüber sitze und wir die ersten No­ten anschlagen, spüre ich eine große Wärme. Das ist sehr wichtig für mich.
Marielle: Auch für mich ist es sehr wichtig.

 

 

Was meinen Sie, Katia, haben Sie im Gegenzug Ihrer Schwester gegeben?
Katia: Ich hoffe, es ist ein bisschen mehr Fantasie. Jedes Konzert ist an­ders, es gibt immer eine Art Spannung zwischen uns. Sie sagt es selbst: Mit mir zu konzertieren sei, als würde man ein Abenteuer eingehen.

Sind Sie denn so vorsichtig, Marielle?
Marielle: Ich weiß es nicht …
Katia: … Eigentlich ist sie beim Musizieren nicht wirklich so. Da sind wir auf gleicher Ebene, da ist ein Ge­ben und Nehmen. Wir arbeiten sehr viel, an jedem technischen Detail. Nur so kann man auch eine gewisse Freiheit der Interpretation erlangen.
Marielle: Katia ist sehr experimentierfreudig. Vor allem, wenn es um die Musik geht, egal ob Jazz, Rock, Filmmusik oder Minimal Music. Und sie steckt mich oft damit an.

Sie, Katia, wirken extrovertierter und offensiver, sind das Bühnentier, Ihre Schwester Marielle wirkt introvertier­ter, nachdenklicher …
Katia: Das heißt aber nicht, dass sie sich mir unterordnet! Der Grund, wa­rum meine Schwester den Bass über­nimmt, wenn wir vierhändig spielen, liegt nur darin …
Marielle: … dass ich die größeren Hände habe! (lacht)
Katia: Wir sind einfach verschiedene Menschen. Marielle ist sportlicher als ich, sie geht mit ihren zwei Hunden gerne in die Berge wandern und sie läuft. Ich dagegen tanze sehr gerne. Es ist eine andere Art, sich zu be­we­gen. Marielle ist sehr diszipliniert und sehr stark.

Wie bewahren Sie bei so einer symbiotischen Beziehung Ihre Identität?
Katia: Sich selbst treu zu bleiben ist der einzige Weg, um eine Beziehung zu halten. Wichtig ist, dass man das Repertoire gemeinsam aussucht.
Marielle: Wir können zum Glück im­mer miteinander reden und unsere Ide­en austauschen.
Katia: Wenn wir dann auf der Bühne sind, ist es Musik, die uns sehr verbindet, Musik, die weder wir uns selbst noch andere uns aufgezwungen haben.
Marielle: Ja, da ist sehr viel Energie, die jede auf die andere überträgt …
Katia: … und das hilft, das ist sehr wichtig. Alles, was wir gemacht ha­ben, war nie wirklich vorgesehen oder von langer Hand organisiert. Freunde ha­ben uns geholfen, Erfahrungen zu ma­chen und uns zu entwickeln. Wir stan­den mit unserem Re­pertoire auch nur selten im Wettbewerb zu anderen … Aber wenn ich darüber nachdenke: Es ist tatsächlich nicht selbstverständ­l­­ich, dass wir nach so vielen Jahren immer noch so gerne gemeinsam auftreten wollen.

Ihre Beziehung brach nicht auseinan­der, aber die mit Ihrer Plattenfirma schon. Ein Anlass war, dass diese von Ihnen – wie zu lesen war – verlangte, mit Andrea Bocelli zu musizieren.
Katia: Es gab keinen Rosenkrieg. Es hatte sich nur vieles verändert, die Menschen, mit denen man früher zusammengearbeitet hatte, waren nicht mehr da. 2007 haben wir dann unser eigenes Label gegründet, nur damit konnten wir auch kreativ überleben. Es ist für uns sehr wichtig, kreativ zu sein. Das bedeutet viel Arbeit, man lernt jeden Tag dazu. Aber Kreativität ist wie ein Motor, mein Motor.
Marielle: … und mein Motor auch.

Ihr Aufnahmestudio befindet sich in einem barocken Palast in Rom, der einst den Borgias gehörte …
Katia: Wir haben Glück gehabt, so große Säle in Rom zu finden, für un­ser Studio und unsere Stiftung; das ist in so einer Stadt nicht einfach.
Marielle: Wir können jetzt tun und lassen, was wir wollen, um jede Zeit aufnehmen, sei es Tag oder Nacht. Wir können unsere Meinung jederzeit än­dern, das Repertoire so festlegen, wie es uns passt. Es ist großartig.

Sie wohnen dort auch. Angeblich be­sitzen Sie beide 17 Klaviere?
Marielle: Ach, wir leben überall und das meist aus dem Koffer. Wir reisen sehr viel, sind nie zu Hause …
Katia: Du hast ja noch eine Wohnung in Paris mit Semyon. Die 17 Klaviere sind natürlich nicht alle in unserem Apartment in Rom. Sie stehen zum Teil in der Schule, die wir im Rahmen unserer Stiftung Fondazione KML 2005 gründeten.
Marielle: … Wir möchten damit Kindern und Jugendlichen den Zugang zur klassischen Musik ermöglichen, außerdem die wissenschaftliche Er­forschung des Klavierrepertoires für vier Hände unterstützen.
Katia: Wir haben in unserem Leben immer eigene Klaviere gehabt, und wenn ich die mitzähle, die im Haus meiner Eltern standen, dann komme ich auf diese Zahl. Einige un­serer Klaviere haben aber noch kein „Haus“.
Marielle: Dazu kommen die zwei kleinen Fortepiani, auf denen wir Alte Mu­sik spielen.
Katia: Meines stammt aus Italien und hat einen sehr leichten, hellen Klang, Marielles hat einen dunkleren Klang – eine ideale Ergänzung. Aber zu unserem Konzert in Salzburg werden wir sie natürlich nicht mitnehmen.

Was wünschen Sie sich für die Zu­kunft?
Katia: Weiterhin und so lange wie mög­lich mit meiner Schwester musizieren zu können.
Marielle: Wir haben immer wieder neue Projekte, so wie es zum Beispiel die Ur­aufführung von Philip Glass’ Kon­zert für zwei Klaviere, das er für uns komponiert hat, dieses Jahr war. Un­sere Leidenschaft für un­seren Beruf hat mit den Jahren überhaupt nicht nachgelassen, sie ist stärker denn je. Müde sind wir noch lange nicht.

 

so 14/01 Katia & Marielle Labèque

 

Quelle:
"Musikalische Feuerwerke", Katia und Marielle Labèque im Gespräch mit Teresa Pieschacón Raphael
Mozart 52 - das Magazin zur Mozartwoche, Salzburg, Juli 2015,
Herausgeber: Internationale Stiftung Mozarteum www.mozarteum.at

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