Tanzkritik

Bitte mehr Neid und Völlerei!

Sieben renommierte Choreograf:innen aus aller Welt liefern Eric Gauthier je ein knackig-kurzes Stück zu einer Sünde. So unzeitgemäß die Idee von „The Seven Sins“ auch sein mag, die Umsetzungen sind sehenswert bis sensationell.

Jetzt mal ehrlich: Todsünden? In der Hölle schmoren, nur wegen ein bisschen Faulheit oder Wollust? Tatsächlich, das Konzept der katholischen Generaldrohung hat sich in Zeiten von Pornhub und Faulenzerhotels ziemlich überholt. Aber das ficht Eric Gauthier und seine Dance Company Theaterhaus Stuttgart nicht an. Sieben renommierte Choreograf:innen aus aller Welt liefern ihm je ein knackig-kurzes Stück zu einer Sünde. So unzeitgemäß die Idee von „The Seven Sins“ auch sein mag, die Umsetzungen sind sehenswert bis sensationell, nicht zuletzt dank der 16 fantastischen Tänzer:innen. Aha, geht es hier gerade um Hochmut? Kann sein, ist auch egal. Die fünf blau gekleideten Frauen schaffen eine dichte Atmosphäre der Überheblichkeit und Arroganz, und das total reduzierte Bühnensetting – durchkomponierte Lichteffekte auf einer mit Vorhängen verkleinerten Grundfläche – gibt ihnen die volle Aufmerksamkeit (Choreografie: Marcos Morau). Ja, so perfekt wie von den beiden Tänzern in „Faulheit“ (Choreografie: Aszure Barton) haben wir träge Massen noch nie auf einer Bühne gesehen. Großartig! Weiters: Ein Popstar im Drogenrausch, eine wollüstige Zehnerbande (Choreografie von Hofesh Shechter, nicht seine stärkste Arbeit), ein entzückend bösartiges Pas de trois (es geht – egal – um den Neid), ein zorniges Paar (bildgewaltig, wenn auch kaum dem Genre Tanz zuzuordnen, von Sasha Waltz) und eine Kegelformation, die aus Habgier auseinanderbricht. So viele starke Szenen, so großartige Tänzer:innen, mit einer Spielfreude, die auf das Publikum überspringt, und last but not least Eric Gauthier selbst, der als charmanter Conférencier in die Stücke einführt. Ein Gesamtkonzept? Ein Webteppich, an dem, so Gauthier, sieben Künstler:innen mitgearbeitet haben? Auch hier eher nein, aber das ist egal. Es sind so oder so 100 Minuten voll Spannung und Unterhaltung, auch ohne Gesamtkonzept. So muss eine gute Performance, danke Festspielhaus St. Pölten! Ach, das haben Sie verpasst? In Stuttgart werden die sieben Stücke ab November wieder aufgeführt. Oder bleiben Sie hier: Einige dieser herausragenden Choreograf:innen kommen auch nach St. Pölten – zum Beispiel Sasha Waltz bereits am 25. November 2023. 

Tanzkritik von Festspielhaus-Reporter Marcus Jablonski. Diese Kritik erschien auch auf tanz.at

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