Tanzkritik

St. Pölten wird zum Sündenpfuhl

In „The Seven Sins“ beleuchtet ein Schaulaufen zeitgenössischer Choreograf:innen die Todsünden aus tänzerischer Perspektive.

Eric Gauthier (Gauthier Dance // Dance Company Theaterhaus Stuttgart) lädt zum Laster: Die Todsünden, die einst mittelalterliche Mönche verzweifeln ließen, werden in sieben eigenständigen Vignetten auf ihre Tagesaktualität abgeklopft. Für die Produktion gewann der gebürtige Kanadier, wie er in seiner einführenden Charme-Offensive mitteilte, fast nur „the hottest names in the dance world“. Die einzige Leitlinie: das sündige Thema.

Plakativ und poetisch

Während Sidi Larbi Cherkaoui („Habgier“) seine Tänzer:innen wenig subtil mit Kapitalismuskritik übertönt, lässt Sasha Waltz das Publikum ihren „Zorn“ mit schmerzender Lautstärke spüren. Marco Goecke inszeniert „Völlerei” als Solo zwischen Ekstase und Entzugserscheinungen, und in Sharon Eyals klassischem Pas-de-Trois zu „Neid” fällt die Leichtfüßigkeit schwer, wenn man immer auf andere schielt. Aszure Barton gelingt ein poetischer Zugang zur – eigentlich wenig tänzerischen – Trägheit. Ein Duo schafft es in „Faulheit“ nicht, sich der Anziehungskraft des Bodens zu entziehen. Jeder Flugversuch zerfließt kraftlos, Eigeninitiative endet in depressiver Masturbation.

Marcos Morau („Hochmut“) verkantet ein Landmädchen-Quintett in raschen, präzise synchronisierten Bewegungen zu einem Wesen, das aus einem japanischen Horrorfilm stammen könnte. Hofesh Shechters „Wollust“ hält indessen die Zeit beinahe an: Gemächlich gleitet ein Bataillon in weißer Loungewear über die Bühne. Nicht nur der Look ist uniform: Ausbrecher aus der aalglatten Formation werden sofort eingefangen. Ist Widerstand gegen ein Wollust-Diktat zwecklos, oder erlaubt Sexualität erst die Überwindung starrer Normen? 

Für jeden ist eine Sünde dabei

„The Seven Sins” unterzieht ein betagtes Thema einer Verjüngungskur. Konsumkritik und Wegwerfkultur, Selbstinszenierung und Selbstoptimierung blitzen durch die Linse des katholischen Katechismus – mal moralinsauer, mal mit positivem Spin. Höchst individuell reiht sich ein Sündenfall an den nächsten: Aufgetischt wird ein Buffet der Laster, kein durchkomponiertes Menü.

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