Tanzkritik

„Beethoven 7“ von Sasha Waltz: eine Symphonie der Dissonanz

Zusammen mit ihrer Compagnie erteilt die renommierte deutsche Choreographin Sasha Waltz den Erwartungen nach Klassik eine Absage.

Das Licht geht aus. Innerhalb weniger Minuten sind die Zuschauer:innen in eine parallele Realität katapultiert. Rauchwolken dringen auf die Bühne, wo der Komponist Diego Noguera elektronische Klänge und Beats nebeneinanderstellt. Vier Tänzer:innen bahnen sich ihren Weg nach vorne. Die Masken, die ihre Gesichter bedecken, haben ein vage vertrautes, aber nicht endgültig entzifferbares Profil. Sind sie tatsächlich Tänzer:innen? Sind sie Tiere? Vielleicht Außerirdische? Wie mit Helium gefüllte Ballons scheinen ihre Körper in der Luft zu schweben, sind aber eigentlich fest am Boden verankert. Eine unsichtbare Kraft, die sich vielleicht in den Rauchwolken verbirgt, stützt sie bei ihren segmentierten Bewegungen einmal aus den Achselhöhlen, einmal aus den Knien. Alle dreizehn Tänzer:innen versammeln sich in einem Kreis. Jede und jeder von ihnen verfolgt unterschiedliche Abfolgen, allen gemeinsam ist aber eine gespannte, konzentrierte und präzise Körperlichkeit. Der erste Teil der Vorstellung endet in einer Art Rave, komplett mit roten und blauen Lichtern und starken Vibrationen der lauten Musik.

Als das Publikum nach der Pause gerade ins Parkett zurückkehrt, erscheinen die Tänzer:innen schon wieder auf der Bühne. Ihre Menschlichkeit ist dieses Mal unbestritten. Die Atmosphäre verkehrt sich schlagartig in ihr Gegenteil und von einer dystopischen Zukunft landet man in einer idealisierten Vergangenheit. Die langen, seidig weichen Kleider erinnern an griechische Nymphen, so unbekümmert, wie diese in neoklassischen Gemälden dargestellt wurden. Endlich intoniert das Tonkünstler-Orchester die erwartete siebte Symphonie. Mit leichten Schritten gehen die Tänzer:innen einzeln durch die Mitte und folgen dann individuellen, kreisförmigen Bahnen, die sich im Raum, ebenso wie unterschiedliche Melodien der Musik, überschneiden. Wer den nächsten Musikakzent in Tanz übersetzen wird, bleibt bis zum letzten Moment ein Geheimnis. Dazwischen schwenkt eine Tänzerin eine Fahne aus einem tüllähnlichen, durchsichtigen Stoff, der sich unter den Scheinwerfern in geschmeidigen, hypnotischen Kurven entfaltet. Zum abschließenden Crescendo wächst das Ensemble wie zu einer mächtigen Kreatur zusammen, die ihre unzähligen Arme ausstreckt, als wolle sie nach der Decke greifen. Deren Handflächen Energiekugeln zu formen scheinen, diese drehen und balancieren wollen. Doch eine Frage bleibt bis zu diesem Punkt offen: Wie stehen die zwei Teilen des Abends zusammen?

Gemeinsam ist ihnen sicherlich, eine nicht zufällige, raffinierte Synchronisation zu erzeugen, deren Regeln beim Zuschauen unlesbar bleiben. Sehr offensichtlich vermitteln hingegen die Tänzer:innen ihre Freude am Tanzen zu den Beats, seien diese elektronischer Natur oder klassische Musikstücke. Thematisch wirkt aber die Verbindung der zwei Teile manchmal erzwungen und teilweise banal, wenn sie sich nur auf den Kontrast zwischen Modernität und Tradition begrenzt. 

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