Berührend und überwältigend: Pina Bausch / Meryl Tankard: „Kontakthof – Echoes of ’78“
Erzählungen von Jugend und Alter, Einsamkeit, Sehnsucht und Blaupausen in Pina Bausch und Meryl Tankards „Kontakthof - Echoes of ’78“Ein puristisch ausgestalteter Raum, ein Tanzsaal oder Kontaktraum, empfängt das Publikum. Stühle, still an der Wand aufgereiht, bilden die einzige Requisite. Fahles Licht fällt durch ein Fenster. Neun Tänzer:innen beleben schlendernd die Stille.
„Kontakthof – Echoes of ’78“, inszeniert von Meryl Tankard, ist der Versuch einer Begegnung mit dem Schlüsselwerk der Choreografin Pina Bausch, das in den 1970er-Jahren deren Durchbruch markierte. Bei der Uraufführung tanzte Tankard selbst mit.
Gewollte Leerstellen
Neun Tänzer:innen, gekleidet in formelle Anzüge und Satinkleider, erzeugen eine Ballsaal-Atmosphäre der 1930er-Jahre. Sie trotzen immer wieder den Zeichen des Alterns, füllen mit ihren Bewegungen den Bühnenraum, mal raumgreifend, mal eng umschlungen. Sie raffen sich auf, um dann wieder zu verlangsamen. Lücken entstehen durch jene zwölf Tänzer:innen, die nicht mehr dabei sein können, und werden bewusst nicht ersetzt. Ihre Abwesenheit soll spürbar werden. Melancholie erfüllt den Raum, wenn vereinzelt ohne Partner:in getanzt wird. Der direkte Blick ins Publikum ist kraftvolle, bewusste Konfrontation.
Archivmaterial in Schwarz-Weiß von Rolf Borzik wird im ersten Teil des Abends als Video-Projektion dem Heute gegenübergestellt. Untermalt wird das lose Geschehen, dem ein roter Faden fehlt, von Musik, die zum Mitschwingen und rhythmischen Mitklatschen anregt. Töne wie aus dem Grammophon. „Blonde Mähre, schenk mir die Ehre?“
Erinnerungen
Tanzende Weggefährt:innen stelzen mit absichtsloser Zerbrechlichkeit durch den Raum. Die Rituale des gesellschaftlichen Kontaktraums, die Pina Bausch sichtbar machen wollte, werden augenscheinlich: auf der Videowand. Auf der Bühne selbst dominieren zarte Feinfühligkeit, behutsame Rücksichtnahme, aber auch das Taxieren und Verewigen durch den Mann mit der Kamera am Stativ. Vergangenheit und Gegenwart berühren einander immer wieder, um sich anschließend voneinander abzustoßen und zum Ausgangspunkt zurückzukehren.
Das Wissen um das Alter der Akteur:innen rührt und verleiht dem Gesehenen Tiefe. Es öffnet eine Parallelwelt zwischen universellem Kunstraum und Vergänglichkeit. Ansprüche an Technik und Präzision verlieren hier ihre Bedeutung; die Körper haben ihre eigene Sprache gefunden, eine Blaupause, ein Echo der 1970er-Jahre, verlorener Tage, gelebter Zeit. Im Schein der Installationen erinnern sich die Tänzer:innen an Bewegungen, regen sich erneut, werden zu Klangkörpern von Emotionen.
Was bleibt …
Zentralen Themen der Arbeit von Pina Bausch, wie dem menschlichen Bedürfnis nach Nähe und Intimität sowie deren Grenzen, stellt die aktuelle Inszenierung existentielle Fragen nach Alter und Vergänglichkeit gegenüber, die in den Akteur:innen sichtbar werden, indem sie deren körperliches und seelisches Sein durchscheinen lassen. Meryl Tankard übernimmt Zuschreibungen von Pina Bausch in einer zwar synchronen, dennoch abgemilderten Art und stellt unsere Verletzlichkeit in den Mittelpunkt. Ihre Inszenierung berührt und überwältigt in ihrer Nahbarkeit. Die zeitgenössische Relevanz bleibt – wie nahezu alles Zwischenmenschliche – zeitlos.