Die Vergänglichkeit der Zeit
Wie Meryl Tankard in „Kontakthof – Echoes of '78“ die Zeit einholtEin stilisierter Tanzsaal, im hinteren Teil eine kleine Bühne mit geschlossenem Vorhang, davor zwanzig aufgereihte Stühle. Ganz klassisch, so wie Pina Bausch „Kontakthof“ 1978 choreographierte. Und doch ist etwas anders: nicht nur die Zeit der Erstaufführung vor 47 Jahren ist eine andere. Von den ursprünglich zwanzig Tänzer:innen des Stückes sind es nur mehr neun Tänzer:innen, die auf jenen Stühlen Platz nehmen, die sie seinerzeit besetzten.
Der Versuch steht: Kann ein Stück, das in den Kanon der Tanzgeschichte eingegangen ist, beinahe 50 Jahre später, mit neun verbliebenen Original-Tänzer:innen, neu in Szene gesetzt werden? Meryl Tankard, die bereits 1978 bei der Erstaufführung Ensemblemitglied war, setzt auf Projektionen der damaligen Filmaufnahmen auf dünnen, durchsichtigen Gaze-Stoff. Diese Schwarz-Weiß-Tanzszenen sind in das Stück fast durchgehend integriert, wirken wie Hologramme mal klein, mal groß projiziert. Auf diese Weise ist das ursprüngliche Tanzensemble präsent.
Wie damals bewegen sich die Tänzer:innen in eleganter Garderobe über die Bühne. Mit jenem Unterschied, dass sie so auftreten, als wäre die Tanztruppe vollständig, obgleich mittlerweile die Mitglieder verstorben oder nicht mehr aktiv sind. Wenn beispielsweise die Bühne in einer diagonalen Linie durchschritten wird, obliegt es den Tänzer:innen, jene Abstände einzuhalten, die sich durch die fehlenden Personen ergeben. Im Tanzen zu zweit fehlt das Gegenüber oder eine Tänzerin kann sich auf keinen Schoß setzen, da die Person nicht mehr vorhanden ist. Diese Szenen wirken wie ein Dialog zwischen den damals jungen und den alternden Tänzer:innen, die virtuos die Szenen aufgreifen. Musikalisch wird das Stück von den Comedian Harmonists untermalt. All das wirkt ein wenig, als wäre das Stück aus der Zeit gefallen.
Ursprünglich bearbeitete Pina Bausch die konfliktreiche Dynamik in Beziehungen mit dem Stück. Obgleich damals, wie heute, Gleichberechtigung und sexuelle Gewalt aktuelle Themen sind, so veränderten die Gender- und Diversity Bestrebungen ebenso wie die MeToo-Bewegung den gesellschaftlichen Blick. Wie würden Angehörige der Gen Z das Stück betrachten?
Eine Auflockerung erfährt das Stück, indem die Tänzer:innen einen kurzen Abriss zu ihrem Leben preisgeben. Sie unterstreichen die Realität des Alterns, werden greifbarer in ihren Persönlichkeiten. Es bleibt der Elan, die Vitalität jeder einzelnen Person und nicht zuletzt lassen sie sich auf das Kontakthof-Revival ein.
In „Kontakthof – Echoes of '78“ wird das Publikum zum Betrachter einer Performance von Tänzer:innen, die dem Alter entsprechend hervorragende Leistungen erbringen. Auch wenn das Stück etwas verstaubt wirkt, so strahlen die Protagonisten eine Eleganz aus, die den Dialog mit der Vergangenheit würdevoll und anmutig zelebriert.