Tanzkritik

Erinnerungen an die 80er Jahre mit Weichspüler

Kyle Abraham, Choreograf aus der Stahlstadt-Pittsburgh, nimmt uns gemeinsam mit seiner 2006 gegründeten Tanzcompagnie A.I.M. im Festspielhaus St. Pölten mit auf eine sehr persönliche Reminiszenz

An einer grauen, unregelmäßig gestalteten Betonwand hängen Bildschirme, die an alte Fernsehapparate erinnern. Sie bringen szenenhaft wechselnde Bilder und Geräusche hervor. Davor weiße Schaufensterpuppen: Starr, manchmal glänzend, stereotyp. Damit lässt die Produktion "Cassette Vol.1" von Kyle Abrahams, das Publikum vorerst für ein paar Minuten allein. 

Ballett meets Aerobic

Bis (endlich), in einer beinahe leichtfüßigen Mischung aus Ballett und Aerobic, die Tänzer:innen über die Bühne gleiten, oder ist es nicht bereits ein Schweben? Sie drehen Pirouetten, springen grands jetés, die sie mit sportlichen Jumps komplettieren. Dazwischen Slow Motion, bis die Bewegungen nahezu einfrieren. Ergänzt durch Windmaschinen erinnern diese Szenen an zeittypische Musik-Videos. Synchronizität beherrscht die Szenerie.

Unterscheidungsmerkmale wie Geschlecht, Hautfarbe oder Alter verschwinden in der gleichartigen Kostümierung und löschen so die bewusst hergestellte Vielfältigkeit der Formation nahezu aus. In ihren übergroßen Triopalanzügen in pudrigen Neonfarben (Kostüme: Karen Young) wirken die Akteur:innen beinahe kindlich und auf träumerische Art unbeschwert. Überproportionale, gelockte „Shags“ erleichtern den Blick zurück, und so wird auch – symbolhaft – rückwärts von der Bühne abgelaufen.

Erinnerung als Mixtape 

Cassette Vol.1“ erscheint wie ein wohlwollender, sehr privater Rückblick in das eigene Erleben der 80er/90er-Jahre, in den man als Publikum sanft hineingezogen wird. Transportiert wird das Ganze durch verschiedene, immer aber temporeiche, rhythmische Songs aus der Zeit, u.a. von Phil Collins, R.E.M. und Prince: Teile eines Mixtapes. Die Nostalgie stellt sich der Erinnerung. 

Tanzstile und Bewegungsmuster unterschiedlicher Zeitströmungen werden zu einem harmonischen, gefühlvollen Ganzen und lösen damit das etwas starre Szenen-Konzept von Bühnenbild-, Farben- und Song-Einheiten für die Zuseher:innen wohltuend auf. 

Die Akteur:innen treffen einander immer wieder scheinbar zufällig in Lichtkreisen, um danach  ebenso spontan auseinanderzudriften. Flackernde Bildschirme verlieren sich in rätselhaften Signalen und Störbildern, um letztlich auch kurz und punktuell Szenen mit Dokumentationsausschnitten, Shows und Werbungen zu untermalen. Als Kult-Phänomen steht hier Bazooka-Bubble Gum, der Kaugummi, der mit seiner blau-weiß-roten Verpackung bis in die 80er den amerikanischen Patriotismus befeuern sollte.

Zuletzt, die Aufführung scheint zu Ende, erscheint ein Bühnenarbeiter. Er kehrt, begleitet vom selbstvergessenen Agieren einer Tänzerin die am Boden liegenden, zuvor aus dem Off purzelnden Plüschbälle und -tiere zusammen. Zu Kim Carnes’ Song „Bette Davis Eyes“ transportiert diese Szene das Lebensgefühl der Generation Golf.

Der Abend lässt wohl viele Zuseher:innen mit einem wohlig nostalgischen Gefühl zurück und „like an Egyptian“ den Heimweg antreten. Das im Programmheft angekündigte „gänzlich Neue, Schockierende“ erschließt sich jedoch sicher nicht allen. Und so bleiben Erinnerung und Nostalgie am Ende symbiotisch vereint.

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