Klangvolle Körper: Dekonstruktion und Kreation
Adam Linder, Ethan Braun und das Solistenensemble Kaleidoskop starten mit dem Tanztheater TOURNAMENT den Versuch der Wiedervereinigung zweier Kulturtechniken.Eine Stufenpyramide, in kühles Weiß und gelegentlich flammendes Rot oder graugrünen Schimmer getaucht, dominiert die Bühne, als Referenz an historische Arenen. Aus synthetischen, glatt polierten Materialien gestaltet, ist sie Bühne,Siegespodest und Trainingsgerät – kraftvolles, aber auch didaktisch, plakativ eingesetztes Symbol. Das Bühnenbild von Ana Filipović gibt die Richtung vor: „Tournament“ ist ein Ort des Aufstiegs, des Rituals, der Anstrengung – ein Verhandlungsraum für Kräfte, Beziehungen und Grenzen. Der einzelne Performer, der die Stufenränder mit Blumen verziert, verstärkt diesen Eindruck: eine Geste zwischen Ritual und Mysterium, die allerdings mehr behauptet als erklärt.
Verantwortlich für das Bühnengeschehen ist der australische Choreograf Adam Linder, bekannt für seine schöpferische Neugier, unterstützt vom Komponisten Ethan Braun und dem experimentierfreudigen Solistenensemble Kaleidoskop. Die fünf Musiker:innen, in sportlicher Allwetter-Kleidung, bewegen sich zwischen musikalischen und performativen Aufgaben, wenn auch nicht immer überzeugend. Linders Ansatz, Tanz und Musik in einen Wettkampf zu schicken, klingt auf dem Papier radikaler, als er sich im Ergebnis darstellt. So entstehen choreografische Episoden, die an Kampfübungen erinnern: eine Mischung aus Ballett, zeitgenössischem Tanz und Streetdance-Techniken. Komponist Ethan Braun liefert dazu die musikalische Grundlage – in Form von Etüden, die zugleich den Contest um Virtuosität beschwören und ad absurdum führen, indem kleine Partiturfragmente bis zur Erschöpfung wiederholt werden. Getragen von den Streicherinnen entfaltet sich die klassische Musik, während elektronische Musik einen zeitgenössischen Kontrast setzt – so begegnen sich auch hier zwei unterschiedliche Welten.
Das Stück fragt nach der kulturhistorischen Einheit von Tanz und Musik, nur um sie zugleich zu zerstören und neu zu konstruieren. Durch das permanente Gegeneinander entsteht paradoxerweise ein wechselseitiger Einfluss: Musik wird an den Tänzer:innen sichtbar, Tanz wird durch die Musiker:innen hörbar. Die Sportlichkeit des Abends verweist auf den physischen Kern beider Disziplinen, während immer wieder Referenzen an historische Formen aufscheinen, die in Ruhephasen in andere, neue Räume überführt werden. Hier deutet sich Linders Versuch an, Regeln zu brechen und den klassischen Tanz zu erneuern, indem er seine Grundlagen neu definiert.
Instrumente werden Tänzer:innen übergeben oder entrissen, Musiker:innen geraten ins Straucheln, eine Bassgeige wird in einem ironischen Trauerritual zu Grabe getragen. Doch trotz starker Einzelmomente bleibt der Abend erstaunlich vorhersehbar: Der Konflikt zwischen Musik und Tanz wird zwar ständig behauptet, aber selten wirklich zugespitzt. Die Wiederholung kleiner musikalischer Fragmente bis zur Erschöpfung erzeugt eher Gleichförmigkeit als Spannung.
Thematisch will „Tournament“ die alte Einheit von Tanz und Musik dekonstruieren und neu zusammensetzen. Tatsächlich aber verliert sich die Inszenierung häufig im eigenen Konzept. Die sportliche Metaphorik wirkt teilweise überstrapaziert, die choreografischen Episoden schwanken zwischen klarem Körpervokabular und improvisierter Beliebigkeit.
So kraftvoll viele Bilder sind, der Abend bleibt nicht frei von Irritationen: Manche symbolische Setzung wirkt etwas überdeutlich, und der dramaturgische Spannungsbogen verliert gelegentlich an Kontur. In der abschließenden Vereinigung beider Kunstsparten findet „Tournament“ zu einer unerwarteten Harmonie zurück. Am Ende überzeugt die Produktion durch Mut, experimentelle Konsequenz und durch das starke Zusammenspiel von Ensemble, Choreografie und Musik. „Tournament“ ist ein Werk, das ein größeres Publikum verdient hätte – gerade, weil es wagt, die vertrauten Muster von Tanz und Musik radikal in Frage stellt.