Tanzkritik

Neoklassisch bleibt länger frisch

Das Ballett am Rhein warf in „Drei Meister – drei Werke“ Schlaglichter auf prägnante Stücke der Ballettgeschichte. „Visions fugitives“ und „Enemy in the Figure“ blieben vom Zahn der Zeit verschont; an der Glitzer-Revue „Rubies“ nagt er schon.

George Balanchines „Rubies“ aus dem Jahr 1967 eröffnete das Gastspiel des Düsseldorfer Ensembles im Festspielhaus St Pölten mit Glamour in Granatapfelrot. Balanchine, der große Erneuerer des Balletts, setzt neben seinen Nachfolgern aber schon Patina an: Hans van Manens „Visions fugitives“ (1990) schwebt meditativ-zeitlos zu den Klängen des gleichnamigen Stücks von Sergei Prokofjew. Die abstrakte Athletik von William Forsythes „Enemy in the Figure“ (1989) zeigt dann deutlich, wohin die Entwicklung des Tanzes gehen wird.

Die Schockeffekte der Vergangenheit …

In „Rubies“ stolziert und galoppiert der Corps de Ballett zu Strawinskys jazzigem „Cappriccio für Klavier und Orchester“ über die Bühne. Die rubinroten Kostüme mit ihren klackernden Plexiglas-Juwelen erinnern uns genauso an den Broadway, wie an den Hof der russischen Zaren. Für viele der Bewegungen– die kessen Hüftschwünge, kapriziös geknickten Handgelenke und kokett platzierten Beine – kassiert man in Ballettstunden noch heute einen Rüffel. Es ist klar, dass sich Balanchine mit dem verspielten, augenzwinkernden „Rubies“ weit aus dem Fenster des klassischen Tanzes lehnt: Trotzdem kommt es zwischen dem Plastik-Pomp der Kostüme und den dressurhaften Konstellationen verstaubt daher.

Verweile doch, du bist so schön!

Zeitlos ist hingegen Hans van Manens „Visions Fugitives“. Sechs Tänzer: innen in Zirkusakrobatentrikots entwerfen Miniaturen zu kaum fassbaren Augenblicken. Humorvolle, aus dem Alltag gegriffene Situationen und Formationen in absoluter geometrischer Akkuratesse verschmelzen zu einer tänzerischen Meditation über die Flüchtigkeit des Moments. Die Pausen zwischen den Stücken von Sergei Prokofjew unterbrechen nur kurz den Fluss der Zeit: ein Innehalten, bevor das Ensemble, nahtlos und unaufhaltbar, wieder in die Bewegung eintaucht.

Strike a pose!

„Enemy in the Figure“ ist eigentlich das Ergebnis von William Forsythes Auseinandersetzung mit dem Thema Architektur. Das organisierte Chaos der Tänzer:innen, die zwischen einer Wellblechwand und einem Seil immer wieder neue Positionen im Raum finden, lassen aber ein Fotoshooting-Feeling aufkommen. Seinen Beitrag dazu liefert das intensive Licht eines beweglichen Scheinwerfers, mit dem Zonen aus Licht und Schatten geschaffen werden, nur um sie gleich wieder aufzulösen. Unterlegt mit der metallisch-spröden, elektronischen Musik von Thom Willems ist „Enemy in the Figure“ ästhetisch in den 80ern verankert, und nach 30 Jahren noch immer unheimlich modern. 

Das fantastische Ensemble des „Balletts am Rhein“ hauchte dieser Geschichtsstunde in Sachen Tanz Leben ein. Die „drei Meister“ sind oft in dieser Kombination als abendfüllendes Programm zu sehen – man kann natürlich die Frage stellen, warum ihnen keine „Meisterin“ zur Seite gestellte wurde. „Rubies“, vielleicht als kalkulierter Crowdpleaser für ein konservatives Ballettpublikum gedacht, sticht bereits als historisch hervor. Die anderen „Neoklassiker“ sind noch weit von ihrem Mindesthaltbarkeitsdatum entfernt.

Text: Verena Bauer, Festspielhaus-Reporterin

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