Tempel der Musikgeschichte
Adam Linders Stück „Tournament“ gleicht einem archaischen Bühnenritual auf den Stufen ägyptischer Pyramiden.Der in Los Angeles und Berlin lebende Choreograf zählt zu den bedeutendsten Stimmen der konzeptuell ausgerichteten Tanzszene, die sich an der Schnittstelle von bildender Kunst, Musik und Performance bewegt. Linder wurde unter anderem mit dem Berliner Tanzpreis und dem Mohn Award ausgezeichnet. „Tournament“ wirkt wie eine Allegorie auf Macht, Fortschritt und Verdrängung.
Die Bühne ist pyramidenförmig angelegt – archaisch, monumental, symbolhaft. Diese Form bleibt über die gesamte Dauer der etwa einstündigen Aufführung unverändert und wirkt wie ein ideologisches Fundament, dem sich alles unterordnen muss. Das Solistenensemble Kaleidoskop ist nicht nur musikalischer Akteur, sondern integraler Bestandteil des Bühnenbildes und der Choreografie. Die Musiker:innen sitzen und agieren auf den Stufen der Pyramide, ihre Bewegungen sind präzise, mechanisch, repetitiv. Die Art, wie die Instrumente gespielt werden, ist nicht expressiv, sondern funktional, fast maschinell. Menschen werden zu Apparaten, und Klangerzeugung wirkt wie ein routinierter Arbeitsvorgang.
Die Musik von Ethan Braun, ebenfalls aus Los Angeles, bewegt sich zwischen klassischer Instrumentierung und elektronischen Eingriffen. Sie verstärkt den Eindruck eines Systems, das sich selbst reproduziert und zugleich ablöst. Die Tänzer:innen bewegen sich in kollektiven Mustern, selten individuell hervortretend. Ihre Körper verschmelzen größtenteils mit der Farbigkeit der Bühne. Das Licht wechselt gleichmäßig zwischen Rot, Blau, Grün und Lila, ohne dramatische Zuspitzung. Diese Gleichförmigkeit löscht Individualität aus; nur selten heben sich einzelne Körper farblich ab oder erscheinen als Schatten und Silhouetten.
Besonders eindrucksvoll sind die Momente, in denen sich kollektive Schatten vor der Pyramide abzeichnen oder grüne Silhouetten scharf gegen eine rote Bühne kontrastieren. Hier entstehen flüchtige Bilder von Macht, Masse und Unterordnung. Durch die Stufenarchitektur bilden sich immer wieder hierarchische Anordnungen: oben und unten, Zentrum und Peripherie, Sichtbarkeit und Verschwinden. Die Pyramide wird so zum sozialen wie kulturellen Ordnungsmodell.
Der wohl stärkste symbolische Akt des Abends ist die Beisetzung eines Cellos. Das Instrument wird zu Grabe getragen, während es zugleich seine eigene Totenmusik spielt. Klassische Musik wird sinnbildlich verabschiedet – feierlich inszeniert. Die Musiker:innen stehen dabei wie Zeugen eines historischen Übergangs: Elektronische Musik und KI übernehmen den Raum, während das Cello noch klingt, aber bereits verabschiedet ist. Fortschritt erscheint nicht als Befreiung, sondern als Ablösung.
Tournament ist kein emotional zugängliches Stück. Es fordert Distanz, Beobachtung, Analyse. Adam Linder entwirft eine Welt, in der Körper, Klang und Raum zu Bestandteilen eines übergeordneten Systems werden. Die Arbeit entfaltet ihre beklemmende Wirkung durch kompromisslose Strenge und Wiederholung – als zeitgenössisches Ritual über Macht, Hierarchie und dem Verschwinden des Humanen im Zeitalter technologischer Ordnung.