Tanzkritik

„The Seven Sins“ oder eine kleine Anthologie des zeitgenössischen Tanzes

Sieben Sünden für sieben weltberühmte Choreograf:innen: Die Gauthier Dance Company aus Stuttgart zu Gast im Festspielhaus St. Pölten

„Habgier“, flüstert eine Stimme mehrmals und immer eindringlicher. Aus der Dunkelheit kommt langsam eine Kreatur vorwärts gekrochen. Die vielen Körper, aus denen sie besteht, scheinen sich gegenseitig zu behindern. Trotzdem bewegt sie sich immer weiter nach vorne. „Truly rich are those who don´t want anything.“  Im Raum hallen jetzt knappe Sätze wider, während die tanzenden Silhouetten sich schnell und geschmeidig bewegen. Mit seinem vielschichtigen Storytelling kritisiert Sidi Larbi Charkoui die heutige geldgelenkte und egoistische Gesellschaft. 

Am 6. Oktober zeigte das Festspielhaus St. Pölten das Tanzstück „The Seven Sins“, sieben Sünden für sieben weltberühmte Choreograf:innen. Die Vision von Eric Gauthier für die eigene, im Theaterhaus Stuttgart ansässige Company Gauthier Dance, bringt mehrere Bewegungssprachen an einem einzigen Abend zusammen: Eine kleine Anthologie des zeitgenössischen Tanzes. Diesmal weiß gekleidet erscheint die Kreatur erst in der Choreografie von Hofesh Shechter  wieder. Mit Tai-Chi-artigen meditativen Bewegungen geht das Ensemble jetzt quer über die Bühne zu atmosphärischer Musik, die wie eine Welle immer mächtiger wird. Anomalien entstehen, der Rhythmus steigert sich, die Körper werden schwerer und elastischer. Shechter erzählt von der Wollust und dem Konflikt, den sie mit sich bringt. Eine ähnliche innere Zerrissenheit scheint den Tänzer zu erschüttern, der Marco Goeckes Völlerei verkörpert. Seine Bewegungen erinnern an das Quietschen der Ketten, die von seinen Hosen hängen. Bei der Faulheit von Aszure Barton laufen sich zwei Tänzer nach wie Peter Pan seinem Schatten. Sie versuchen der Schwerkraft zu entkommen. Im Duett zum Zorn von Sasha Waltz schreien sich zwei Figuren wütend an, bis es zu heftigen körperlichen Kollisionen kommt. Den Hochmut inszeniert Marcos Morau mit fünf Tänzerinnen, die ihre Umgebung, den Raum, das Licht und die Musik vollkommen beherrschen. Sie tanzen entschlossen und ohne zu zögern ausnahmslos gemeinsam. Ihr Ritual wird fast zu einer weiblichen Version des haka, dem traditionellen Tanz der Maori zur Einschüchterung von Gegnern. Der Abend endet in einer Darstellung des Neids von Sharon Eyal, die, wie es meistens bei ihrem Werk der Fall ist, sehr abstrakt erzählt. Ähnlich wie Schlangenmenschen wandern drei Tänzerinnen von einer Position zur anderen, flüchtig sind dazwischen Ballettschritte zu sehen. Unberechenbar ihre Bahn sowie ihre nächste Bewegung, undurchschaubar ihre Absichten. Zu „Bittersweet Symphony“ verbeugt sich das Ensemble zum Schluss, das Publikum feiert es mit verdienten Standing Ovations. 

Tanz-Kritik von Festspielhaus-Reporterin Chiara Aprea zur Veranstaltung The Seven Sins am fr 06/10/2023 im Festspielhaus St. Pölten. 

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