Tanzkritik

Wirf die Nostalgie-Maschine an: Die 80er sind dran!

Kyle Abrahams Tanzkompanie A.I.M. läutet mit „Cassette Vol.1” die neue Saison am Festspielhaus St. Pölten ein – Föhnfrisuren und Neon-Trainingsanzüge inklusive.

Wer Phil Collins’ „Sussudio” unwiderstehlich findet, ist hier richtig: Mit ikonischen Hits der 80er-Jahre legt der US-amerikanische Star-Choreograph Kyle Abraham die Fährte in ein politisch und popkulturell prägendes Jahrzehnt. Ein bisschen anbiedernd, wie das DJ-Set einer Ü40-Party – aber wer freut sich nicht über Cindy Lauper und REM, Prince und Salt-N-Peppa?

Hier wird ordentlich auf die Nostalgie-Drüse gedrückt: Auf der Bühne flimmern Röhrenbildschirme, weiß lackierte Schaufensterpuppen sorgen für MTV-Ästhetik. Läuft einmal nicht ein Banger, wird die Technologie hörbar: das Zurückspulen einer Kassette, die klackernden Tasten des Ghettoblasters und das leidige Aufwickeln des Tonbandes, wenn es mal wieder vom Rekorder gefressen wurde.

Den Kontrapunkt setzt Abraham mit seinem fantastischen 10-köpfigen Ensemble. Neben dem Pop-Universum reihen sich locker Szenen aneinander – ein Alltag abseits von Hedonismus, Glamour und Schulterpolstern. Choreografisch zollt Abraham seinen Wegbereitern – darunter Trisha Brown, Bill T. Jones und Arnie Zane – Tribut. Letztere prägten Abraham durch das Zusammenspiel von zeitgenössischem Tanz und der Auseinandersetzung mit den Erfahrungen queerer und marginalisierter Gruppen in den USA.

Choreografisch zündet Abraham ein postmodernes Referenz-Feuerwerk: Ballettpositionen, repetitive, lockere Armschwünge in Release-Technik und lange Balancen – hier lugt auch mal Lucinda Childs hervor. Dazu in homöopathischen Dosen: Breaking, Hip-Hop, Vogue. Das Mixtape sorgt nur für den Vibe: Tanz und Musik sind fast entkoppelt. Mit nobler Zurückhaltung verzichtet Abraham sogar bei „Walk like an Egyptian” auf jeglichen rechten Winkel der Arme.

So werden zahlreiche Perspektiven auf die 80er offeriert – persönliche und politische, auf Mainstream-Pop und Subkulturen der USA, sogar auf die Tanzgeschichte. Diese Diskurs-Wolke schwebt eh schön, aber diffus über die Bühne – verkörpert von androgynen Tänzer:innen mit Löwenmähnen. Erst gegen Ende brechen die Parallelwelten auf. Im letzten Duo fallen die Perücken. Weniger Haar, mehr Herz: Während zwei Tänzer innig Beziehungsrealitäten verhandeln, prasseln Bälle und Stofftiere auf sie ein: Camp und berührend zugleich. 

Ein Highlight folgt nach dem Schlussapplaus: Während ein Bühnenarbeiter das Plüsch-Massaker beseitigt, wirbelt neben ihm noch ein Solo über die Bühne. Wir räumen vielleicht heute in einem gewissen Sinn noch immer den Müll der 80er weg. Sie waren aber auch: So much fun. 

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