Die surrealen Bildwelten des Marcos Morau
Das Festspielhaus St. Pölten rückt den spanischen Ausnahmekünstler mit gleich drei Österreich-Premieren ins Rampenlicht.
Trailer: Afanador
Zum zweiten Mal ist die Wahl auf Marcos Morau gefallen: Wie bereits 2023 hat das Branchenmagazin tanz den spanischen Allrounder nun auch für 2025 zum „Choreografen des Jahres“ gekürt, Luisa Buzzi schreibt dazu in ihrer Laudatio:
„Um seinen einzigartigen Kosmos zu kreieren, in dem die Gesetze von Raum und Zeit ausgesetzt zu sein scheinen, greift Morau im Wesentlichen auf Träume und Erinnerungen zurück und verwebt Natur und Kultur [...], Mythos und Moderne, postmoderne Ängste und kindliche Projektionen miteinander. Am Ende eines Morau-Abends geht man mit dem Gefühl nach Hause, eine Reihe visuell umwerfender, glanzvoller Szenen gesehen zu haben, die der Realität weit entrückt und zugleich von großer Relevanz für diese sind. Morau besitzt die Gabe, jede Bühne in eine außerweltliche Sphäre zu verwandeln – ob mit den glamourös-tragischen Figuren, die er für sein hypnotisches ‚andalusisches‘ Stück Afanador den Schwarz-Weiß-Aufnahmen des Fotografen Ruben Afanador entnimmt und von den Tänzer:innen des Ballet Nacional de España verkörpern lässt […] oder schließlich mittels der ‚Kino-im-Theater'-Praxis, die […] in Notte Morricone (für die italienische Compagnie CCN/Aterballetto) zum Einsatz kommt.“
Künstler im Fokus
Nachdem der Shootingstar zuletzt mit Notte Morricone im November 2024 das heimische Publikum begeistert hat, stellt das Festspielhaus das kreative Schaffen Moraus nun in den Fokus und holt ihn in der Saison 2025/2026 für gleich drei außergewöhnliche Österreich-Premieren nach St. Pölten, denn, so Bettina Masuch: „Er ist schon lange kein Geheimtipp mehr, zählt zurecht zu den international gefragtesten Künstler:innen seiner Generation und verdient auch bei uns in Österreich eine größere Sichtbarkeit. Es ist mir eine große Freude, unserem Publikum anhand dreier Premieren tiefe Einblicke in die fantastischen Kosmen von Marcos Morau zu eröffnen.“
Mit Afanador und dem Ballet Nacional de España (fr 26 & sa 27/09/2025), mit Romeo + Julia und dem Opera Ballet Vlaanderen (fr 06 & sa 07/03/2026) sowie mit Folkå und dem Nederlands Dans Theater NDT 2 (sa 09/05/2026) ermöglicht das Festspielhaus St. Pölten ein tiefes Eintauchen in die spektakulären Bühnenwelten von Morau und zeigt seine unnachahmliche Fähigkeit, „die Gegenwart mittels unbändiger, grenzenloser Kreativität zu verwandeln, in symbolistischer Manier aus dem Irrational-Unterbewussten zu schöpfen und in seinen Kunstwelten die Verstandeslogik außer Kraft zu setzen,“ so Luisa Buzzi weiter.
Blicke über den Tellerrand
Marcos Morau ist in aller Munde! Auch mit seiner neuen Kreation blickt der Tausendsassa aus Valencia gefühlt gleich über mehrere Tellerränder und wird damit seinem Ruf als eine der einflussreichsten und visionärsten Stimmen im zeitgenössischen Tanz gerecht: Afanador ist ein interdisziplinäres und atmosphärisches Gesamtkunstwerk aus Tanz, (Live-)Musik, bildender Kunst, Film und Fotografie. Faszinierende Körperkompositionen und -fresken in flüchtigen Gruppenchoreografien machen ob ihrer an Perfektion grenzenden Synchronizität staunen. Die kontrastreiche Schwarz-Weiß-Ästhetik des Bühnen- und Kostümbilds ist den Flamenco-Fotografien des Kolumbianers Ruven Afanador entliehen und lässt, verstärkt durch ein ausgeklügeltes Spiel von Licht und Schatten, surreale Bilderwelten voller Assoziationen rund um das mythenhafte Andalusien entstehen. Obwohl sich Afanador in die große Tradition des Flamencos einschreibt, vermag es Marcos Morau, ein neues Kapitel aufzuschlagen: Indem er klischeehafte Flamenco-Bilder nicht nur reproduziert, sondern auch voller großer Gesten damit spielt, gelingt ihm die Weitergabe des Feuers, ein Balanceakt zwischen Tradition und Avantgarde, zwischen Erbe und Innovation.
Text: Andreas Prieling