Tanzkritik

Ritual von Liebe und Schmerz

Einst waren die Menschen ganz. Nun sind sie dazu verurteilt, ihre verlorene Hälfte zu suchen: Eine uralte Sehnsucht, die Sharon Eyals Stück „Delay the Sadness“ durchdringt.

Auf der in Dunkelheit getauchten Bühne erscheinen acht Tänzer:innen der Compagnie S-E-D. Wie langbeinige, fremdartige Vögel schreiten sie durch den Raum, bilden Formationen, die zerfallen und sich wieder neu zusammensetzen. Zu den hypnotisch-rhythmischen Klängen von Josef Laimon wird der Tanz zu einem tranceartigen Ritual, in dem Schmerz, Sehnsucht und Liebe ineinanderfließen.

Die Choreografin Sharon Eyal schafft in ihrem Stück „Delay the Sadness“ einen Tanzraum, in dem Körper zu vibrierenden Gefäßen von Sehnsucht und Spannung werden. Acht androgyne Wesen in hautfarbenen, mit feinen roten Fäden durchzogenen Bodysuits bewegen sich über die leere schwarze Bühne. Die Fäden wirken wie Narben: Erinnerungen an Platons Kugelmenschen, die vom zornigen Zeus entzweit wurden und nun verzweifelt ihre verlorene Hälfte suchen. In den körperlichen Zwiegesprächen dieser Wesen offenbart sich die Sehnsucht nach der verlorenen Hälfte, nach dem Einssein.

Die Choreografie ist voller Spannung. Die Körper zucken, verkrampfen, stoßen einander ab und ziehen sich wieder an. In krampfartigen Bewegungen brechen die Tänzer:innen die Schönheit des Tanzes auf, als müsse das Innere endlich nach außen dringen. Mimik und Gestik werden zu Sprache: geöffnete Münder, stumme Schreie, Finger, die in die Dunkelheit zeigen. Manchmal wirken die Bewegungen wie durch einen alten Film gefiltert, leicht ruckelnd, rückwärtslaufend, als ob die Zeit selbst ins Stocken geriete.

Gegen Ende wird der Rhythmus schwächer. Die Bewegungen verlieren an Kraft, werden kleiner, leiser. Die Bühne taucht erneut in Dunkelheit. Nur ein Paar bleibt im Licht. Deren helle Körper schimmern in der Tiefe und bewegen sich wie Schatten an einer unsichtbaren Wand, als suchten sie nach einem Ausgang, nach Licht. Dann treten alle ins Helle und der Vorhang fällt abrupt.

„Delay the Sadness“ ist ein körperlicher Aufschrei, ein Ritual über Schmerz und Liebe, ein Tanz voller widersprüchlicher Harmonie, eine bewegte Verkörperung des Menschseins.

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