Denn was weiß ist, wird schwarz, und Schwarzes wird weiß
Emanuel Gat hat sein neuestes Stück „Freedom Sonata“ nach St. Pölten ins Festspielhaus gebracht. Das war für die Zuschauer:innen nicht ausschließlich ein Quell der Freude.Kennen Sie das? Sie stehen vor einem Kunstwerk (sagen wir mal: Beuys) und können nichts damit anfangen. Aber Gott sei Dank, gibt es ja daneben eine kuratierte Tafel, die erklärt, was und warum Sie das sehen. Dann schauen Sie nochmals hin und sagen: „Achja, dann!“. Im zeitgenössischen Tanz gibt es dafür Programmhefte und Einführungen, und für „Freedom Sonata“ werden die auch dringend gebraucht.
Laut eigener Aussage weigert sich Gat, Geschichten zu erzählen. Die Basis dieser Choreografie sei aber die Reibefläche zwischen Freiheit und Struktur (wie der Titel ja bereits anklingen lässt). Daraus entstehen – wie in einem Atomhaufen – Anziehungen und Abstoßungen, die von den zehn Tänzer:innen (je fünf Frauen und Männer) performt werden. Und das tun sie tatsächlich mit einer unglaublichen Qualität und Spielfreude, für die sie nicht genug gelobt werden können. Darum waren die Standing Ovations auch den Darsteller:innen gewidmet, und das zurecht.
Aber sonst … Gat ist auch für Bühne, Licht und Kostüme verantwortlich. Ein Bühnenbild gibt es nicht, die Kostüme bestehen aus Alltagskleidung und nur das Licht schafft immer wieder eine Ahnung von Räumen und Stimmungen. Bei so viel Minimalismus müsste die Choreografie allein die Aufmerksamkeit des Publikums über die volle Distanz tragen, und das tut sie nicht.
Gruppen bilden sich, jemand führt, andere folgen, einzelne scheren aus und machen ihr eigenes Ding, Paare bilden sich und streben wieder auseinander. Manchmal wird (szenisch) gekämpft, manchmal geliebt – nach 85 Minuten haben wir zwar viele Wiederholungen gesehen, aber eine Entwicklung irgendwohin ist nicht zu erkennen. Ja, das darf der Choreograf absichtsvoll so machen. Nein, das muss dem Publikum nicht gefallen.
Ach ja, die Musik. Die Klaviersonate Nr. 32 op.111 von Ludwig van Beethoven klingt in ihrem zweiten Satz, als wenn sich Scott Joplin oder Jacques Loussier darüber hergemacht hätten. Beethoven als Visionär, wunderbar! Die restliche Musik kommt von Kanye West.
Ja genau, d e r West. Sein Album The Life of Pablo (von 2016) wird hier komplett von vorne bis hinten vertanzt. Man muss davon ausgehen, dass Gat als Israeli die antisemitischen (und auch andere rassistische und beleidigende) Aussagen Wests kennt. Wenn er also bereit ist, Werk und Autor zu trennen, sollten wir das dann auch?
Kurze Antwort: Nein. Wer Lieder schreibt, in denen eine bekannte Sängerin als „bitch“ bezeichnet wird, hat den Anspruch auf Trennung von Leben und Werk längst verloren, wenn es denn eine solche überhaupt geben sollte. Gats Entscheidung für Wests Musik möchte wohl provozieren, ist aber eigentlich geschmacklos.
Ach ja, hier noch die Auflösung der Überschrift. Anfangs sind alle Tänzer:innen weiß gekleidet und agieren auf einer schwarzen Bühne. Am Schluss ist der Bühnenboden weiß, und alle haben sich in schwarze Kleidung geworfen. Das hat bestimmt etwas zu bedeuten, aber nicht mal das Programmheft weiß da einen Rat.