Hits, Haare und heile Welt?
Kyle Abraham und Compagnie A.I.M schwelgen in Erinnerungen und laden uns auf eine unterhaltsame, aber etwas ziellose Reise einWir betreten den Saal zur vertrauten Stimme einer Legende – Phil Collins. Vor einer brutalistisch anmutenden Wand aus spitz zulaufenden, dreieckigen Mauerstücken, halten einige, weiße Schaufensterpuppen die Stellung. Von der Decke hängen kleine und größere Röhrenfernseher, darunter wartet ein kultiges Münztelefon darauf, dass einsame Liebende die Nummer ihrer aktuellen Romanze wählen.
Die einzelnen Teile des Stücks hängen lose zusammen, wie die Lieder auf einer Musikkassette, und wir reisen zu ikonischen Pop-, Disco- und Hip-Hop Songs durch verschiedene Stimmungen und Bewegungsideen. Gekleidet in bunte 80er-Jahre Trainingsanzüge und curly Afro-Perücken falten und öffnen die Tänzer:innen ihre Gliedmaßen in schwingenden und kreisenden Bewegungen. Fließende und akzentuierte Elemente wechseln sich ab, während die Tänzer:innen Duette oder Gruppensequenzen bilden und sich in Soli ablösen. In Kombination mit Elementen des Voguing, Disco, Ballett oder Hip-Hop serviert uns Kyle Abraham so das „Real-Life-Mixtape“ der Erlebnisse seines Aufwachsens.
Im Kontrast zu einer uniformen Gruppe von Tänzer:innen steht ein einzelner, tänzerischer Beobachter, der immer wieder abseits bleibt und mit sich selbst oder dem Beobachten beschäftigt scheint. Er wirkt isoliert, ähnlich wie es die Natur von nostalgischen Erinnerungen an sich haben kann, dass sie für einen Moment schöne Zeiten aufleben lässt, Vergangenes aber dennoch nicht zurückholen kann. In einer Sequenz ist der Sound einer Platte zu hören, die zu Ende gespielt wurde und nun darauf wartet, dass jemand die Nadel wieder in die Ausgangsstellung hebt. Kurz darauf wird zum Geräusch eines Kassettenrekorders getanzt. Die Kassette wird immer wieder eingelegt, doch Musik beginnt keine.
Zu „Jump (for my love)“ von den Pointer Sisters kommt Stimmung auf und man fühlt sich ans Set eines Musikvideos platziert, wenn sich die Tänzer:innen wie eine Straßengang vor angedeuteten Schaufenstern formieren, während auf den Röhrenfernsehern Reklame aus den 80er-Jahren läuft. Diese heiteren Momente halten sich allerdings die Waage mit der latenten Traurigkeit, die das Schwelgen in Erinnerungen mit sich bringt.
Zum Schluss reißen sich zwei Tänzer:innen die Perücken vom Kopf und verlieren sich in einem liebevoll-zärtlichen Duett, das zum ersten Mal an diesem Abend das Potenzial hat, wahrhaftig zu berühren. Damit endet Cassette Vol. 1 leider.