Verdammt, wir tanzen noch!
Meryl Tankard setzt in „Kontakthof – Echoes of ‘78” zur Geisterbeschwörung an und stellt die Tänzer:innen der Erstinszenierung von Pina Bauschs Klassiker auf die Bühne.„Kontakthof” streift sich immer neue Gewänder über: Da ist das Original aus 1978, heute schon Tanzgeschichte. In den 2000ern gingen zwei Inszenierungen mit Amateurbesetzung über die Bühne, einmal mit Teenagern, einmal mit Damen und Herren ab 65. Und nun Tankards Geistertanz, in dem sie neun Tänzer:innen der Originalbesetzung, heute alle jenseits der 70, den Videoaufnahmen Rolf Borziks aus den 1970ern gegenüberstellt.
Aggressiv und anbiedernd
„Kontakthof“ ist kein Chamäleon. In all seinen Inkarnationen trägt es Anzug und Cocktailkleid. Bausch kreierte im Wimmelbild eines Tanzabends Vignetten, die das spannungsgeladene Verhältnis zwischen Mann und Frau erkunden. Da sind jugendlicher Flirt, Aufregung und Anbandeln, aber auch: angaffen, antatschen, ausgrenzen. „Kontakthof“ vereint den nostalgischen Charakter einer Ballnacht mit zeitlosen Gefühlen: Schmetterlinge flattern im Bauch, und Gewalt schwelt in der Rücksichtslosigkeit, mit der Frauenkörper ausgestellt werden wie Zuchtstuten bei einer Auktion.
In „Echoes of ‘78“ reizt Tankard die Parallelexistenz von Vergangenheit und Gegenwart weiter aus. Während auf den körnigen Videoaufnahmen in Schwarz-Weiß eine überlebensgroße Debütantinnenparade über die Bühne stolziert, stehen da klein und zerbrechlich die Tänzer:innen, darunter Tankard selbst, als lebendes Gedächtnis des Stücks. Sie nehmen ihre Rollen auf, wiederholen Bewegungen, die sie vor 46 Jahren einstudiert haben. Dieser „Kontakthof“ ist ausgehöhlt: Zwölf der ursprünglich 21 Ensemblemitglieder fehlen. Ihre Abwesenheit reißt Lücken in die Reihen, die unheimliche Dimensionen annehmen. Dieses doppelte Spiel von Video und Realität bricht endgültig auf in der zweiten Hälfte. Auf der Leinwand malträtiert eine Horde Männer eine junge Frau. Auf der Bühne dreht sich, einsam, eine Frau im flatternden, weißen Kleid. Die Täter gibt es nicht mehr.
Ewige Jugend und Endlichkeit
„Echoes of ‘78“ überschreibt Kontakthof: Da ist nun die Melancholie des unwiederbringlichen Moments, das mediale Spiel mit einem Museumsstück, die Diskussion über das Ablaufdatum professioneller Tanzkarrieren. Die Bewegungsqualitäten des Ensembles am Gipfel der Leistungsfähigkeit und im Alter zu vergleichen, würde alles auf rein körperliche Mechanik reduzieren. „Kontakthof“ speist sich aber aus einer rohen, fast pubertären Gefühlskulisse und einer noch immer gültigen Kritik an Geschlechterverhältnissen. Wie perfekt ein Bein gestreckt wird, juckt hier niemanden.
Die Zentrierung auf neun konkrete Künstlerpersönlichkeiten prägt „Echoes of ‘78“ trotz aller ironischen Brechungen ein Enddatum ein. Die Musik wird verklingen, die Tanzfläche sich leeren. Wie wunderbar ist es, jetzt noch zu tanzen.