Tanzkritik

Was bleibt, ist Nähe – die Intimität des Abschieds

Sharon Eyals Verkörperung von Trauer und Verzweiflung: ein Tanz mit Spuren von Heilung und mit Hoffnung auf Erlösung.
von Regina Christine Traxler

Sharon Eyal zeigt sich mit ihrer aktuellen, lediglich acht Tänzer:innen umfassenden Formation im Festspielhaus St. Pölten intimer als bisher. Trotzdem füllt die kleine Compagnie den reduziert gestalteten Bühnenraum. Dessen schwarze Stoffbahnen bilden einen unaufdringlichen Hintergrund, ähnlich einem Trauerflor, für die Bewegungsmuster der zuckenden Wesen, die um ihr eigenes Inneres oszillieren.

So entfaltet sich eine Traumatherapie der anderen Art: Sharon Eyals Choreografie „Delay the Sadness“ beginnt leichtfüßig, begleitet von feenhafter Musik und Glockentönen. Sie lässt ihre Tänzer:innen wie Faune über die Bühne paradieren und weckt zugleich Assoziationen an den Pas de deux des klassischen Balletts, der hier jedoch konsequent auf halber Spitze getanzt wird. 

Doch der Verlust der Mutter, die selbst durch krampfhaftes Ringen nicht ins Diesseits zurückgeholt werden kann, quält. Zur Faust geballte Hände vor dem Mund unterdrücken expressive Schreie des Entsetzens. 

Up to the stars?

Die rhythmischer werdende Synthesizer-Musik, kreiert von Josef Laimon, erzeugt bei den Paaren zuckende Bewegungen, bizarr verkrampfte Zeigefinger weisen nach oben und lassen unsere Blicke mitwandern in ein verborgenes Universum. Kommen die Körper endlich zur Ruhe, finden auch die Seelen eine Form von Frieden, nur um kurz darauf wieder in Unruhe zu verfallen. 

Das kollektive Einzelwesen 

Der Titel des Stücks ist der Mutter Eyals gewidmet, ihr Lieblingssong dient der Tochter als Motto, um in ihrer Verzweiflung nicht unterzugehen. So krallen sich Körper aneinander fest, mäandern um die eigene Mitte und die Mitte des anderen. Anatomien verschieben sich: Verdrehte Oberkörper und Oberarme, ähnlich der Formensprache von Tempeltänzerinnen, sind Ausdruck dieser exaltierten Emotionalität. 

Keine Einzelwesen agieren hier, sondern Teile eines großen, letztlich in sich gefangenen Körpers. Damit tritt auch die Geschlechtszugehörigkeit der androgynen, fleischfarbenen Wesen in den Hintergrund. In ihren körpernahen Kostümen wirken sie pur und schutzlos, wurmartig in ihren Bewegungen, animalisch in ihrer Klarheit, vielfach ins Zwiegespräch vertieft. 

Allzu Menschliches auf die halbe Spitze getrieben 

Die archaische Ambivalenz der menschlichen Spezies zwischen Nähe und Distanz ist neben der Verlusterfahrung ein prägendes Motiv des Abends. Wem die Arbeiten von Sharon Eyal und ihrem Partner Gai Behar vertraut sind, der findet die beiden hier wieder, ganz sie und doch so anders. Die Exaktheit der einzelnen Bewegungen sowie deren Fragilität sind an diesem Abend augenscheinlich, verbinden sich in dieser Form jedoch zum ersten Mal in Eyals Werk. 

Die Intimität sei immer da, meint die Choreografin in einem Interview mit dem Hube Magazine und zeigt uns mit ihrem Stück einen zutiefst persönlichen Ausweg aus der Tristesse des Verlustes. Ein Abschied birgt immer auch die Chance auf Neues. Mit dieser Hoffnung lässt sich leben, auch in diesem Zeitalter, das sich zunehmend von Illusionen löst.    

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